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Herzensmission: Wie SWISS Pilot Pascal Leben im Mittelmeer rettet


Der 32-jährige Pascal Stadelmann ist einerseits seit 2018 Pilot bei SWISS und andererseits Chief Project Officer bei der Stiftung Humanitarian Pilots Initiative (HPI). Er erzählt uns im Interview von seiner Leidenschaft für die Fliegerei, den persönlichen Herausforderungen im Einsatz bei HPI und wie er sich ganz konkret für Menschen in Not einsetzt. Die Verbindung zwischen seinem Beruf als Pilot und seinem humanitären Einsatz ist ein inspirierendes Beispiel für die Kombination von Leidenschaft und Sinnstiftung.


Pascal, wie bist du auf die Stiftung HPI aufmerksam geworden? Meine Begeisterung für die Fliegerei und mein Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun, haben mich zu HPI geführt. Ich bin der Meinung, wir sind privilegiert in der Schweiz, uns geht es enorm gut, doch weltweit sind viele Menschen in Not. Ich möchte meine Fähigkeiten als Pilot nutzen, um Menschen zu helfen. Mein Bedürfnis an mich selbst ist es, etwas zurückzugeben. Vor sieben Jahren wurde dann die Humanitarian Pilots Initiative in der Schweiz gegründet. Ich suchte damals nach einer Möglichkeit, meine Leidenschaft für die Fliegerei mit humanitärer Hilfe zu verbinden und meldete mich bei HPI.


Besteht eine Verbindung zwischen HPI und der SWISS? Die Verbindung zwischen HPI und SWISS entstand damals wahrscheinlich durch mich. Zu Beginn des Ukraine-Konflikts hatte ich bei SWISS World Cargo angefragt, ob sie uns beim Transport von Hilfsgütern unterstützen können. SWISS World Cargo hat dann sehr unkompliziert und kostenfrei Güter für uns in das Krisengebiet transportiert. Zudem konnten wir bei SWISS Technics unser Kleinflugzeug, eine Beech Barons 58 (mehr in Infobox), abstellen und diese im grossen Hangar einer Maintenance unterziehen. Unsere kleine Maschine neben Grössen wie dem Airbus A340 und der Boeing 777 zu sehen, war beeindruckend.


Wie fliessen die Erfahrungen, die du bei SWISS gesammelt hast, bei deiner jetzigen Tätigkeit bei HPI ein? Die Erfahrungen in Form von strukturiertem Denken, der Arbeit im Cockpit und die Routine als Linienpilot bei SWISS sind wertvoll für meine Einsätze bei HPI. Diese wichtigen Fähigkeiten erleichtern mir die Entscheidungsfindung in heiklen Situationen. Beim Fliegen mit der kleinen Maschine kommt es vor, dass wir über einem sinkenden Boot kreisen und der Treibstoff ausgeht, dann muss ich entscheiden, ob wir umkehren oder den Einsatz fortführen. Diese Fähigkeiten konnte ich aus dem Linienpilotenjob mitnehmen. Umgekehrt kann ich als erster Offizier dem Captain im Cockpit bei SWISS auch Unterstützung bieten. Denn bei meiner Tätigkeit bei HPI bin ich allein Captain und für neun Stunden am Stück über dem Mittelmeer mit einer Crew unterwegs – es ist eine Win-Win-Situation für mich und SWISS.



«Ein Einsatz verläuft nie so, wie man ihn sich vorstellt.» Pascal Stadelmann, SWISS Pilot & Chief Project Officer bei HPI

Werden mit der kleinen Maschine Beech Baron 58 anspruchsvollere Flugmanöver durchgeführt im Vergleich zu einem herkömmlichen Airbus?

Ja, absolut. Mein Training Supervisor bei der SAT nannte mich mal einen «Freestyle-Piloten». Ich nahm das eher negativ auf. Als Linienpilot will man nicht als Freestyle Pilot bezeichnet werden. Aber im Einsatz für HPI muss man über dem Mittelmeer situationsweise «freestylen». Ein Einsatz verläuft nie so, wie man ihn sich vorstellt oder plant. Ich muss schnell Entscheidungen treffen und umplanen, – es braucht Improvisationstalent, was sich von meinem Job als Linienpilot bei SWISS unterscheidet. In einem Airbus A220 ist das komplett anders. Da ist alles vorgegeben und falls man improvisieren muss, ist das wirklich ein Grund zur Sorge.


«Im Schnitt sind wir acht bis neun Stunden unterwegs». Pascal Stadelmann

Wie sieht so ein Einsatz über dem Mittelmeer bei HPI aus? Generell entscheiden wir am Abend zuvor, ob wir am nächsten Tag fliegen werden. Wenn die Wellen nicht zu hoch sind, können Boote von der libyschen Küste Richtung europäisches Festland starten, wobei wir bei guten Wetterverhältnissen dann auch fliegen. Bei vorliegenden Informationen über eine Notsituation eines Boots fliegen wir sowieso und suchen das Boot. Normalerweise gehen wir eine Stunde vor Abflug auf den Flugplatz in Lampedusa und bereiten uns vor. Wichtig ist, dass die Fenster sauber sind, denn wir fliegen und Suchen auf Sicht. Die Crew besteht aus vier bis fünf Personen. Ein Team der Organisation Sea-Watch und ich als Pilot von HPI. Der Tactical Coordinator von Sea-Watch übernimmt Taktisches, ich die Fliegerei, jemand filmt und fotografiert und die anderen sind Spotter.


Im Schnitt sind wir acht bis neun Stunden unterwegs. Wir fliegen im Normalfall ein Suchmuster zwischen Libyen, Malta und Lampedusa ab. Wenn wir ein Boot sichten, wird es meistens etwas hektisch. Wir entscheiden dann, über das weitere Vorgehen, senden die Infos an unsere Bodencrew und geben einen Notruf raus. Wenn wir ein überfülltes Schlauchboot in Not sehen, dann informieren wir die Behörden oder die Küstenwache, versuchen umliegende Schiffe zu erreichen – Frachtschiffe, Schiffe von NGO, eigentlich alle. Nach der Rückkehr nach Lampedusa kümmere ich mich um das Flugzeug, tanke es mit AVGAS (Flugbenzin), diese ist aber nicht immer verfügbar in Lampedusa, deshalb muss ich manchmal noch nach Malta oder Palermo fliegen.


Du bist vom Flugzeug aus machtlos, kannst nichts aktiv unternehmen. Wie geht ihr vor?

Richtig, wir können nicht direkt eingreifen. Unsere Zusammenarbeit mit Organisationen wie Sea-Watch ermöglicht es uns jedoch, Informationen weiterzugeben und Hilfe anzufordern. So unterstützen wir die Rettungseinsätze effektiv. Aber es stimmt, wir sind ohnmächtig, es sind schwierige Situationen, wenn Boote am Kentern sind oder die libysche Küstenwache die Boote gegen alle Menschenrechte wieder zurückschafft. Mit dem umzugehen ist schwer, aber der Fakt, dass wir nicht direkt eingreifen können, schafft auch eine gewisse Distanz für mich.


«Es bestätigt mir, dass wir Einfluss haben und effektiv Menschenleben retten.» Pascal Stadelmann

Was war dein schönstes Erlebnis, das du seit deinem Engagement bei HPI erleben durftest? Ein besonders erfüllendes Erlebnis war, als ich jemanden, den wir zuvor im Mittelmeer gesichtet hatten, später in einer Asylunterkunft persönlich getroffen habe. Ich sichtete die Person im Meer und drei Wochen später spreche ich mit diesem Menschen persönlich in Luzern. Es bestätigt mir, dass wir Einfluss haben und effektiv Menschenleben retten.


Wie ist die Stiftung HPI aufgebaut und was hat es mit dem SVAS-Abwurfsystem auf sich? Die Humanitarian Pilots Initiative wurde vor sieben Jahren gegründet und hat mittlerweile rund 35 ehrenamtliche Mitarbeitende. Wir wollen die Luftfahrt nutzen, um Menschen in Not zu helfen. Dafür haben wir ein Abwurfsystem entwickelt – das Super Versatile Airdrop System, kurz «SVAS». Dieses System ermöglicht den Abwurf von humanitären Gütern wie Nahrungsmitteln, Wasseraufbereitungsmaterialien oder medizinischen Gegenständen mit Hilfe von recycelten gespendeten Rettungsfallschirmen von Gleitschirmpilot: innen. Es kann ein grosses Volumen (Nutzlast 30-180 kg) an Hilfsgütern präzise und effizient in schwer zugänglichen Gebieten absetzen. Wenn andere Transportmittel nicht verfügbar sind, sind Fallschirmabwürfe die einzige Möglichkeit, Menschen zu erreichen. HPI will diese spezielle Fähigkeit vor allem kleinen, lokalen humanitären Organisationen anbieten, die es sich selbst nicht leisten können, ein solch leistungsfähiges System zu entwickeln.



Interview und Text: Mike Beutler Veröffentlicht am 28.07.2023

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